Donnerstag, Dezember 25, 2014

Stephanus

[Von Bastian]
Auch in diesem Jahr ist es wieder soweit: Stephanus‘ Martyrium so kurz nach Weihnachten wird der Stimmungskiller schlechthin. In der schön dekorierten Kirche, direkt vor dem erleuchteten Weihnachtsbaum ein paar Meter rechts von der liebevoll aufgebauten Krippe, um die die geschnitzten Schäfchen kauern, wird zwischen zwei Weihnachtsliedern vorgelesen, wie ein heldenhafter Christ von einer Meute religiös Verstockter langsam umgebracht wird.
Die Geistlichen werden sich wie immer bemühen, in der Predigt den Kontrast verständlich zu machen. Die übliche Auswahl an Argumenten ist meist überschaubar: man dürfe nicht in der Weihnachtsromantik stecken bleiben, Leiden und Tod gehörten auch zum Leben, das Leben der frühen Christen sei nun einmal schwer und gefährlich gewesen, diese Lesung sei halt an diesem Tag, der Bericht verweise schon jetzt auf das Kreuz. Nicht, dass ich diese Predigten schlecht fände – vor allem der letzte Punkt hat einiges, was mich ans Nachdenken bringt.
Doch hat meine Frau mich vor einigen Jahren mit einer Aussage zu Stephanus überrascht, die ich so noch nicht gehört hatte, die mich aber überzeugt und für die ich ihr sehr dankbar bin: die Lesung von Stephanus stellt keinen Kontrast zu Weihnachten dar – im Gegenteil schließt sie die Weihnachtsbotschaft erst ab.

Ein Chor von Engeln verkündet zu Weihnachten den Hirten die Geburt Christi: die Hirten schauen den Himmel. Dann Stephanus: Er aber, erfüllt vom Heiligen Geist, blickte zum Himmel empor, sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen und rief: Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen (Apg 7, 55-56). Der Himmel, der sich in der Heiligen Nacht über der Welt öffnete und den die Hirten im Chor der Engel offen stehen sahen, zeigt hier, dass er weiterhin offen ist.

So oft ist von der großen Demut der Hirten und dem Heldenmut des Stephanus die Rede, doch viel zu selten wird das betrachtet, was die Ursache für beides ist: der offen stehende Himmel. Der Himmel muss schon etwas faszinierendes sein, wenn die Hirten alles stehen und liegen lassen, sobald sie die Engel sehen und hören, und Stephanus sterben und vergeben kann, wenn er ihn offen stehen sieht. Das Glück, ihn wahrzunehmen, war die Kraft, die beide erfüllte.
Die Lesung von Stephanus zeigt, was es tatsächlich bedeutet, dass der Himmel zu uns kam: nämlich dass er sich nach Weihnachten nicht wieder verschloss, sondern offen bleibt.

Weihnachten: Gott zeigt sich im Leben. Stephanus: Gott zeigt sich im Sterben.
Weihnachten: Gott ist im Anfang. Stephanus: Gott ist im Ende.
Weihnachten: Gott kommt zu den Menschen. Stephanus: Menschen kommen zu Gott.

Für uns: in unserem Anfang wie in unserem Ende zeigt sich Gott. Der Himmel ist offen, immer und überall. Stephanus zeigt, was Gott zu Weihnachten will: nicht nur lieblich kommen, sondern alles überwinden, was es an Dramatik im menschlichen Leben gibt, selbst den Tod. Für mich ist die Kombination von Weihnachten mit Stephanus eine der genialsten, die ich kenne.

Schuldzuweisung durch Problemaustausch

[Von Bastian]
Seit jeher gehört es zur politischen Taktik, Probleme und die damit verbundenen Menschen dadurch los zu werden, dass ich das Problem, für das ich verantwortlich bin, durch ein anderes ersetze, für das ich nicht verantwortlich scheine und das ich daher moralisch gerechtfertigt lösen kann.
Beispiel Armut: entweder ich nehme mich des Problems an, oder ich weigere mich so lange, das Problem zu erkennen, bis die Armen zum Überleben Nahrung stehlen. Dann kann ich sie als Diebe einlochen und bin sie los.
Beispiel ethnische Minderheiten: ich behandele sie einfach so lange schlecht, bis sie sich wehren. Dann haben sie mit der Gewalt begonnen, und ich kann, ja ich muss das beenden, notfalls mit Gegengewalt.
Beispiel Erziehung: ich lasse die Familien so lange finanziell hängen, bis die Eltern vor lauter Arbeitsmarkt und Rentenangst keine Zeit mehr für ihre Kinder haben. Jetzt kann ich die verwahrlosten Kinder in staatliche Obhut nehmen, was ich schon immer wollte. Das Nebenproblem Drogen löse ich dadurch, dass ich es wegdefiniere, indem ich die Drogen einfach legalisiere.

Heute kann man dieses Prinzip wieder einmal live erleben, aber die Karten sind möglicherweise neu gemischt.
Viele Menschen haben Angst vor Islamisten. Es wird nichts getan, weil das Problem lästig ist. Die Menschen beginnen, sich zu formieren und ihren Protest zu verbalisieren. Das darf natürlich nicht durchdringen, denn dann müsste man sich des Problems annehmen. Daher wird versucht, diesen Artikulierungen die moralische Basis abzusprechen: sie diskriminierten mit ihren Äußerungen Millionen friedlicher Muslime. (Anmerkung: das ist etwa so sinnvoll, als hielte man einer Gemeinde, die Angst vor einem entlaufenen Mörder hat, vor, sie diskriminiere mit ihrer Angst alle nicht-mordenden Nachbarn.)
Diese dumme Pseudodiskussion wird so lange aufrechterhalten, bis sich eine Wendung ergibt, die zum Handeln legitimiert. Der erste Versuch ist die allfällige Nazi-Keule: das sind doch alles Braune! (Dabei wird vergessen, dass sich Politiker selbst ein miserables Zeugnis ausstellen, wenn unter ihrem Parlament in einem Land mit nationalsozialistischer Vergangenheit eine derartige Nazi-Szene entstehen kann!)
Nun ist die Nazi-Keule durch exzessiven Gebrauch inzwischen so schlapp, dass sie nicht mehr zieht. Die Angst der Menschen vor den Islamisten ist größer als die Angst, irgendwelche Abgeordneten, der Spiegel oder die FAZ könnten sie politisch nicht mögen.
Und nun? Mit Argusaugen wird nach Stellen gesucht, an denen man den Hebel ansetzen kann. Dabei geht es aber nicht um eine inhaltliche Auseinandersetzung (die Strömungen wie PEGIDA womöglich tatsächlich den Wind aus den Segeln nähme), sondern um Hoheiten über Begriffe und moralische Positionen und um Bündnisse mit anderen aus der Gruppe der „Guten“.
Solange allerdings die Politik die Augen vor dem Problem der Islamisten verschließt und statt einer Auseinandersetzung mit dem Thema einfach auf die vielen verweist, die gar nicht angesprochen sind, ist die Lage eigentlich eines Rechtsstaates unwürdig: die Gefahr einer Radikalisierung wird hier bewusst in Kauf genommen, ja gezielt heraufbeschworen. Dass PEGIDA zweifelhaft ist, ist da kein Nachteil, sondern gewünscht! Irgendwann muss es doch möglich sein, Angst vor Islamisten mit Fremdenfeindlichkeit gleichzusetzen, um eingreifen zu dürfen. Vielleicht könnte man z.B. keine Demos mehr zulassen, weil die volksverhetzend sind – soweit die Theorie.
Doch langsam wird bemerkt, dass jedes Eingreifen in dieser Art als diktatorisch wahrgenommen werden könnte, und das von wahltechnisch relevanten Bevölkerungsanteilen. Es wäre zwar eine traurige Basis, aber vielleicht klappt es angesichts dieser Erkenntnis ja doch noch mit einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Ängsten vieler, die über das Verteufeln und anschließende Verbieten hinausgeht.

Mittwoch, Dezember 03, 2014

Da Felltier nichts mehr ein.

Homophone, also ähnlich klingende Begriffe mit unterschiedlicher Bedeutung sind seit Jahren der Notnagel der Werbung, ähnlich wie es bis in die siebziger Jahre hinein der Reim war, der als Transportmittel für Werbebotschaften diente. Seit Jahrzehnten beglücken uns Texter mit Wortkreationen wie:

Hercooles … der Held, was er verspricht. Mal nur so als Beispiel. Glücklicherweise entfallen mir solche Wortspiele rcht schnell wieder. Daher muß ich weitere Beispiele schuldig bleiben.

Es scheint mir eh die letzte Möglichkeit durchgebrannter Creative Directoren zu sein, wenigstens noch den Schein der Kreativität, dieser konsumistischen Allround-Tugend zu wahren.

Also, irgendein weiteres Logistik-Unternehmen mit unterhaltsamem User Interface nutzt einfach einmal die nachchristliche Weihnachtszeit (oder was sie dafür halten) und wirbt mit der Subline: 

Jetzt Christus geliefert.



Toll. Versteht erst mal keiner. Ist auch so eigentlich nicht witzig. Wie jetzt? Seit wann kümmern sich Werbetexter um Kenosis? Kann nicht. Was meinen die?

Beim zweiten Ansatz fällt der Groschen: »Jetzt krichst du’s geliefert.«

Das ist schon seeehr, seeeehr witzig, denkt sich der Marketing-Lieferando, und winkt den Claim durch, ohne zu bedenken, daß ein gutes Wortspiel in beiden Richtungen funktionieren muß. So sollte die vordergründige Ebene bedient werden, damit die Auflösung des Homophons dem Leser mehr als ein Gähnen entlocken kann.

Der pseudochristliche Kontext läßt vermuten, daß der Textlieferando davon überzeugt war, es genüge, einfach eine religiöse Gemeinschaft zu dissen. Sinnvollerweise entschied er sich für die christliche, von deren geistigem Reichtum er eh keine Ahnung hat. (Und von der es wenig zu befürchten gibt.)

Und er zielt offensichtlich auf die Bevölkerungsgruppe, die schon in der Schule eher zu den Schlechte-Noten-Lieferandos gehörte. Die merken nämlich nicht, daß dem Werbetext eigentlich die Pointe fehlt, die ihn witzig machen könnte. Leider werden die meisten auch nur stumm und gleichgültig auf den bemützten Burger gucken und gar nicht erst versuchen, den Text zu entschlüsseln.

»Lieferate ogni speranza voi ch’entrate!«